Fachinformation des Paritätischen Gesamtverbandes vom 08.7.2024:
Am Freitag, dem 5. Juli haben der Bundeskanzler Scholz, der Wirtschafftsminister Habeck und der Finanzminister Lindner ihre Vorstellungen für den Haushalt 2025 und die weitere Regierungsarbeit vorgestellt. In dieser Fachinfo werden die Pläne für das Bürgergeld und die Maßnahmen zur finanziellen Absicherung von Kindern und Jugendlichen skizziert und bewertet.
Am 5. Juli haben die drei federführenden Männer der Ampelkoalition ihre Vorstellungen für den Haushalt 2025 und die weitere Regierungsarbeit vorgestellt. Unter der Überschrift "Wachstumsinitiative" - "Dynamisierung durch bessere Arbeitsanreize und mehr Fachkräfte" - verbergen sich deutliche Einschränkungen für Bürgergeldbeziehende. Wesentliche Anliegen der Bürgergeldreform - vertrauensvoller Umgang mit den Leistungsberechtigten und Stärkung der Förderung und Qualifizierung für eine nachhaltige Integration in Erwerbsarbeit - werden nunmehr wieder zurückgenommen. So werden Sanktionen wieder deutlich verschärft, die Zumutbarkeit in Bezug auf Pendelzeiten verändert und die Karenzzeiten beim Schonvermögen wieder reduziert. Zudem drohen durch die Haushaltsplanungen massive Einschnitte bei der Arbeitsförderung.
Im Einzelnen:
* Die Zumutbarkeit bei der Aufnahme von Erwerbsarbeit wird verschärft. Bei der Pendelzeit sollen zukünftig für eine Vollzeitbeschäftigung 3 Stunden als angemessen gelten. Für die Arbeitsvermittlung soll ein Radius von 50 km Entfernung bis zum potenziellen Arbeitsort angemessen sein.
* Bei den Sanktionen für sog. Pflichtverletzungen - z.B. das Aufgeben und Nichtantreten einer Erwerbsarbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme - wird das Rad auf Hartz-IV-Niveau zurückgedreht. Sofern das Jobcenter meint eine Pflichtverletzung erkannt zu haben, drohen wieder 3 Monate lang Kürzungen der Regelleistungen in Höhe von 30 Prozent des Regelbedarfs. Die Erleichterungen durch die Bürgergeld sind damit wieder komplett zurückgenommen. Eine Verschärfung droht sogar gegenüber dem Standard von Hartz IV mit Blick auf Meldeversämnisse. Diese werden bislang mit Kürzungen in Höhe von 10 Prozent des Regelbedarfs sanktioniert. Nach den Vorstellungen der führenden Herren in der Ampelkoalition sollen zukünftig auch 30 Prozent des Regelbedarfs gekürzt werden können, wenn jemand Meldetermine nicht wahrnimmt.
* Verschärfungen gibt es auch unter der Überschrift "Schwarzarbeit". Sofern ein*e Leistungsberechtigte*r Einkünfte aus Erwerbsarbeit nicht (korrekt) angibt, drohen bereits heute Rückforderungsansprüche des Jobcenters, Aufrechnungen und Strafen. Zukünftig soll "Schwarzarbeit" darüber hinaus auch noch als Pflichtverletzung eingestuft werden mit der Folge, dass es auch hier Leistungskürzungen in Höhe von 30 Prozent geben soll. Zudem wird das Verfahren verändert: zukünftig soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls zuständig werden.
* Durch die Bürgergeldreform wurde Schonvermögen besser geschützt. Die unter Corona-Bedingungen eingeführte Karenzzeit für Schonvermögen wurde durch das Gesetz bestätigt. Nunmehr soll diese Karenzzeit auf sechs Monate verkürzt werden. Unklar ist derzeit, ob auch die Höhe des Schonvermögens reduziert wird. Eine entsprechende Aussage findet sich in dem angefügten Dokument aus dem Finanzministerium nicht.
* Ein-Euro-Jobs oder Arbeitsgelegenheiten sollen vermehrt Personen angeboten werden, "die sich Maßnahmen immer wieder verweigern (Totalverweigerer)." Das Angebot von Ein-Euro-Jobs soll offenkundig als Test für die Arbeitsbereitschaft benutzt werden, um gegebenfalls massiv sanktionieren zu können.
* Neben diesen Einschränkungen und verschärften Bedingungen gibt es auch einen positiven Anreiz: Langzeiterwerbslose, die eine bedarfsdeckende Beschäftigung aufnehmen, sollen eine Anschubfinanzierung als Prämie erhalten. In welcher Höhe diese Prämie ausfallen soll, wird nicht benannt.
Neben diesen expliziten Maßnahmen aus der sog. "Wachstumsinitiative" gibt es weitere strukturelle Probleme beim Bürgergeldes, die erkennbar nicht korrigiert wurden: eine drohende Nullrunde bei den Regelbedarfen und eine massive Unterdeckung bei den Kosten für die Verwaltung und die Arbeitsförderung von Leistungsberechtigten.
Auf das Schreiben von verschiedenen Verbänden zu einer drohenden Nullrunde bei den Grundsicherungsleistungen wurde bereits in einer Fachinfo vom 4. Juni ausführlich informiert. Die Haushaltsverabredungen der Regierungsspitze zeigen nun deutlich, dass hier keine Bereitschaft für eine Korrektur vorhanden ist. Reale Kaufkraftverluste von Leistungsberechtigten werden zur Einhaltung der Schuldenbremse in Kauf genommen.
Dramatisch sind die Aussichten für die Arbeitsförderung von Leistungsberechtigten in der Grundsicherung. Einer der positiven Aspekte der Bürgergeldreform war die Schaffung zusätzlicher Instrumente zur besseren Förderung, so wurde etwa das Teilhabechancengesetz entfristet oder auch der Vorrang von Beschäftigung gegenüber Qualifizierung eingeschränkt. Dem lag die Einsicht zugrunde, dass es der Qualifizierung von Erwerbslosen im Bürgergeld bedarf, wenn denn ein nachhaltiger Weg aus dem Bürgergeld organisiert werden soll. Das Bürgergeldgesetz hat einen Finanzbedarf für 2025 in Höhe von 524 Mio. Euro für Umsetzung der neuen Instrumente vorgesehen. Statt die Mittel aufzustocken, droht aber insbesondere bei der Arbeitsförderung ein deutlicher Einschnitt. Das BIAJ geht auf der Grundlage der bisherigen Finanzplanung - auf der auch die Beschlüsse vom 4. Juli basieren - für 2025 von einem Budget für die Verwaltung in Höhe von 5,27 Mrd. Euro aus. Das ist etwa eine Milliarde Euro weniger als die Jobcenter bereits im Jahr 2023 tatsächlich ausgegeben haben. Sofern der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags hier nicht wieder - wie im laufenden Haushaltsjahr - korrigiert, müssen gigantische Beträge aus dem Einglierungstitel für die Arbeitsförderung in das Verwaltungsbufget umgeschichtet werden. Das Budget für die Eingliederung wird gegenüber dem Vorjahresansatz vermutlich um etwa 850 Mio. Euro auf 3,3 Mrd. Euro reduziert. Diese Summe sollen die Jobcenter durch die Verlagerung von Aufgaben für die beruflichen Weiterbildung und die Rehabilitation auf die Arbeitsagenturen einsparen. Damit wird die Arbeitslosenversicherung für die Finanzierung dieser Aufgaben zuständig. Dies ist bereits mit dem Zweiten Haushaltsbegleitgesetz rechtlich geregelt. Ob allerdings die Jobcenter tatsächlich in dem geplanten Umfang Einsparungen realisieren können, bleibt offen. Wenn darüber hinaus Mittel aus dem Eingliederungstitel umgeschichtet werden müssen für die Finanzierung der Verwaltung, also Personal und laufende Kosten, dann verbleiben kaum noch Ressourcen für die Arbeitsförderung. Es ist bereits heute absehbar, dass insbesondere für öffentlich geförderte Beschäftigung kaum noch Geld zur Verfügung gestellt werden kann. Damit gehen die Kürzungen zu Lasten der besonders benachteiligten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt. Auch der sozialen Infrastruktur, die u.a. mit öffentlich geförderter Beschäftigung organisiert wird, droht nachhaltiger Schaden.
In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Spitzenverbände als Träger der Jobcenter Alarm geschlagen. Nach ihrer gemeinsamen Pressemitteilung warnen sie vor notwendigen Umschichtungen von über 1 Mrd Euro. Diese würden massiv zu Lasten neuer Maßnahmen der Arbeitsförderung gehen. "Nach ersten Kalkulationen stünde so mehr als jedes fünfte Jobcenter vor der Herausforderung zu Beginn des kommenden Jahres kein Budget für neue Maßnahmen zu haben." Das wäre eine komplette Umkehr der Ziele der Bürgergeldreform: statt einer Ausweitung der Arbeitsförderung ein radikaler Abbau.
In Bezug auf materielle Absicherung der Kinder und Jugendliche wird in den Beschlüssen von einer besseren finanziellen Ausstattung gesprochen. 3 Mrd. Euro seien zusätzlich für Kinder und Jugendliche in die Haushaltsplanungen aufgenommen worden. Davon sollen 1,1 Mrd Euro der Bekämpfung von verdeckter Armut dienen, sprich: die gestiegene Inanspruchnahme des Kinderzuschlags soll mit diesen Gelder finanziert werden. Zusätzlich werden bescheidene Erhöhungen beim Kindergeld (plus 5 Euro), und beim Kindersofortzuschlag (ebenfalls plus 5 Euro) in Aussicht gestellt. Bis zu einer möglichen Einführung einer Kindergrundsicherung soll der Kindersofortzuschlag - zunächst geregelt für 2025 - weiter gezahlt werden. Schließlich soll der Kinderfreibetrag rückwirkend für 2024 um 228 Euro auf 9.540 Euro und für 2025 dann noch einmal um 60 euro auf 9.600 Euro angehoben werden. Für diese Anpassungen werden denn noch einmal 1,8 Mrd. Euro veranschlagt.
Angesichts der Diskussion um die Haushaltskonsolidierung klingt eine Aufstockung um 3 Mrd. Euro auf den ersten Blick positiv, wenn auch keineswegs ambitioniert. Diese Einschätzung relativiert sich auf den zweiten Blick noch einmal: zum einen werden bestehende Rechtsansprüche finanziert und zum anderen werden für die Einführung einer Kindergrundischerung im Jahre 2025 bereits eingeplante Ausgaben für analoge Zwecke anders verteilt. Für eine Bundesregierung, die sich in ihrem Koalitionsvertrag die Bekämpfung von Kinderarmut vorgenommen hat, sind dies ernüchternde Ergebnisse. Kinderarmut wird jedenfalls mit diesen Haushaltsplanungen nicht bekämpft werden können.