Zur Sitzung der Fachgruppe StatPflegVers: Protokoll der FG-Sitzung vom 12.11.2019 wurde auf die erneut angestoßene Diskussion zu einer grundlegenden Pflege-Finanzreform dargestellt (vgl. Paritätische Forderungen und Anlage zum FG-Protokoll). Nebenstehend als Download ist das 2. Gutachten "Alternative Ausgestaltung der Pflegeversicherung" hinterlegt, das als eine Blaupause für die konkrete Umsetzung einer Pflegefinanzierung am 13.11.2019 auf Bundesebene vorgestellt wurde. Das 2. Gutachten 2019 setzt auf dem 1. Gutachten aus dem Jahr 2017 "Alternative Ausgestaltung der Pflegeversicherung - Abbau der Sektorengrenzen und bedarfsgerechte Leistungsstruktur" auf (vgl. auch nebenstehend verlinkte Artikel). Als zentrales Reformszenario wird der sogenannten Sockel-Spitzetausch“ thematisiert.
Aktualisierung vom 22.11.19 Das zweite Gutachten baut auf der ersten Ausarbeitung auf, die bereits im Jahr 2017 vorgelegt wurde und in der drei Szenarien dargestellt wurden, mit denen die erforderlichen systematischen Änderungen in der Pflegeversicherung in Bezug auf zwei Reformlinien dargestellt wurden.
Die zweite Ausarbeitung hatte zum Ziel, entsprechend dem damaligen Szenario 3, beide Reformlinien gleichzeitig zu behandeln, zu verfeinern und auszugestalten.
Der Reformvorschlag des zweiten Gutachtens sieht folgende Reformschritte vor:
Sockel-Spitze-Tausch: Pflegebedürftige zahlen bei Inanspruchnahme formaler Pflegeleistungen für einen begrenzten Zeitraum einen festgelegten monatlichen Sockelbetrag als Eigenanteil. Darüber hinaus gehende Kosten werden bis zur Höhe des finanziellen Gegenwertes einer individuell als bedarfsgerecht festgestellten Versorgung von der Pflegeversicherung übernommen. Der Sockelbetrag soll bundeseinheitlich ausgestaltet werden und von allen Leistungsbeziehern von Sach- und Geldleistungen gezahlt werden (sektorenübergreifend, unabhängig vom Ort der Pflege). Für eine bedarfsorientierte Pflege sollen keine weiteren pflegebedingten Zuzahlungen mehr erfolgen müssen. Hierzu ist es erforderlich, dass die Schnittstellen zu den angrenzenden Sozialsystemen ebenfalls vereinheitlicht werden, die Kosten für die medizinische Behandlungspflege würde aus den Pflegesätzen vor dem Sockel-Spitze Tausch herausgelöst und gegen die Krankenkassen abgerechnet.
Schaffung sektorenübergreifender Versorgungsstrukturen Ansatzpunkt ist eine Neuorganisation des Leistungsgeschehens entlang der Grenzlinie Wohnen / Pflegen. Pflege kann, laut Gutachten, dann grundsätzlich in allen Wohnsettings von allen Personen erbracht werden, die Trennlinien zwischen ambulant und stationär als auch teilstationär werden dadurch aufgelöst und innovative Versorgungsangebote können etabliert werden. Leistungen, die von der Pflegeversicherung übernommen werden, sind also unabhängig vom Ort der Leistungserbringung und können sowohl von professionellen Pflegekräften als auch von Laienkräften erbracht werden. Laienkräfte sollen unter spezifischer Schulung oder laufender Anleitung die Pflege übernehmen, können durch ein Pflegegeld 2.0 vergütet werden, das steuer- und abgabenfrei ausgezahlt wird und 40% der Vergütung einer professionellen Leistung entspricht. Um die Problematik des Moral Hazard (Anreiz zur Überinanspruchnahme von Leistungen) abzufangen, ist die individuelle Zuordnung von bedarfsgerechten Leistungen erforderlich.
Zur Umsetzung einer individualisierten Leistungszumessung wird eine Bedarfsfeststellung und Steuerung der Inanspruchnahme über 3 Instanzen vorgeschlagen
Um das Leistungsgeschehen pflegerischer Versorgung abzubilden, ist den Wissenschafler*innen zufolge das Leistungsgeschehen möglichst genau abzubilden, um Leistungen auf Profi- und Laienniveau abrechnen zu können. Hierfür wurde für das Gutachten ein Modul- und Leistungskatalog entwickelt, der sich zum Teil aus dem ambulanten Leistungskatalogen der Länder speist. Für die stationäre Langzeitpflege wurde auf den Leistungskatalog des Projekts „Evaluation des NBA-Erfassung von Versorgungsaufwänden in stationären Einrichtungen (Evis) herangezogen und um einzelne Leistungen ergänzt.
Bei der Preissetzung schlagen die Wissenschaftler*innen einmal eine Differenzierung zwischen Individual- und Gruppenleistungen vor. Darüber hinaus wird für die Bepreisung von Leistungen bundeseinheitliche Punktwerte vorgeschlagen, die bspw. aus dem Personalbemessungsprojekt nach §113c SGB XI abgeleitet werden können.
In einem zweiten Schritt werden die finanziellen Wirkungen des Reformvorschlags auf Grundlage von Berechnungen dargelegt:
Insgesamt ist das Gutachten ein weiterer aufschlussreicher und hilfreicher Beitrag in der Diskussion um die Neuordnung der Pflegeversicherung. Besonders interessant ist hier die Lösung des Moral Harzard Problems, welches durch die Zuordnung von bedarfsgerechten Leistungen ausgestaltet werden soll, der Einbezug von zivilgesellschaftlicher Pflege und die damit einhergehende Reformierung des Pflegegelds. Sicherlich wirft die neue Rolle des MDK hinsichtlich der Leistungsgutachten zahlreiche Fragen auf, die geklärt werden müssen. Zudem würde durch den Vorschlag für ein kommunales Care- und Casemanagement die Rolle der Kommunen essentieller im Pflegeprozess und somit einer Forderung des Paritätischen entsprochen. Weiterhin zu diskutieren und zu verfeinern ist sicherlich die vorgeschlagene Preisbildung, die, wie in dem Gutachten vorgesehen, anhand eines Leistungskatalogs erfolgen soll. Es ist nicht ganz klar, ob die Autor*innen hier eigentlich eine Bemessung mit Punktzahlen (analog ambulant heute) meinen, die dann mit unterschiedlichen Punktwerten in den Ländern multipliziert werden und zu unterschiedlichen Preisen führen. Die neue Verhandlungssituation zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern wird nicht thematisiert, ist aber in einem System, in dem die Leistungsträger die Ausgaben stärker kontrollieren müssen, mit Risiken für Pflegeeinrichtungen verbunden. Eigentlich wollen wir ja die Marktökonomie über Preise nicht weiter anheizen. Auch stellt sich die Frage, ob nach der Entwicklung mit dem neuen Pflegeverständnis eine Modularisierung von Leistungen nicht anachronistisch wäre. Ferner muss das Konzept der Qualitätssicherung im Laienpflegebereich diskutiert werden.
Die Autor*innen des Gutachtens projizieren die Berechnungen bereits auf einen Umstellungszeitraum ab dem Jahr 2020 und gehen für die Umsetzung eines Sockel-Spitze-Tauschs von Ausgabenneutralität aus. Wir können nicht erkennen, dass dieses Modell angesichts der neu aufzubauenden Strukturen kurzfristig umgesetzt werden kann, und schlagen deshalb weiterhin kurzfristige Maßnahmen zur dringend benötigten schnellen Begrenzung der Eigenanteile vor.
Die Ärztezeitung vom 17.11.2019 berichtet „Kostenexplosion - Spahn plant Dialog-Runden zur Pflege-Finanzierung“, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen breiten Dialog zur künftigen Finanzierung der Pflege plant und „mehr Berechenbarkeit bei Eigenanteilen für Pflegebedürftige“ an strebt: https://www.aerztezeitung.de/Politik/Spahn-plant-Dialog-Runden-zur-Pflege-Finanzierung-404016.html?utm_campaign=AEZ_NL_NEWSLETTER&utm_source=2019-11-18-AEZ_NL_NEWSLETTER&utm_medium=email&tid=TIDP394262X846C30A3C2A240A1817A16A781C4BDE7YI4 Weitere Informationen auch unter: https://www.pro-pflegereform.de/reformkonzept/
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